Ich bin ein Mensch - ein Twitter-Hashtag, der es in sich hat

 

Was sich am Wochenende unter dem Hashtag #IchBinEinMensch abspielte, ist beachtlich. Ich rief diesen ins Leben, um gegen die Spaltung „Geimpfte gegen Ungeimpfte“ anzugehen. Wir sind alles Menschen, daher lautete der Hashtag #IchBinEinMensch. So klar, so simpel: Eigentlich. Ich fragte auf Twitter, wer aufgrund einer fehlenden Impfung schon Nachteile erlebt hat und teilte die mutigen Antworten, die mich sehr berührten und nachdenklich machten. Die 3G Regelung, die entweder einen selbst bezahlten Test verlangt, den Nachweis einer überstandenen Erkrankung oder eine aktuelle Impfung, grenzt „einfach gesunde“ Menschen aus. Solange das nur die Gastronomie betrifft, stört es mich persönlich nicht, denn ich habe mir während des Lockdowns längst abgewöhnt, essen zu gehen.

 

Zum besagten Hashtag brachte mich eine persönliche Erfahrung.

Ich war letzte Woche sehr erkältet, hatte Halsweh und wollte zum HNO-Arzt. Ich rief an, ob ich vorbeikommen könnte. Die Sprechstundenhilfe fragte mich dann, ob ich geimpft sei oder einen Coronatest gemacht hätte. „Nein, ich war noch gar nicht aus dem Haus“, antwortete ich. Sie hielt dann Rücksprache mit dem Arzt und meinte, ich solle zuvor ins Testzentrum und mir einen Test holen. Das erschreckte mich, aber nicht meinetwegen. Ich wollte eigentlich gar nichts dagegen unternehmen, weil ich sowieso nur schlafen wollte. Ich kann sowas durchaus verkraften und nehme eh wenig persönlich, denn so war es nicht gemeint - es war eine generelle Regelung, wie ich vermute -  ich dachte dabei spontan an eine ältere Frau, vielleicht mit Gehhilfe, die auch die Auflage bekommt, sie müsse zuerst ins nächste Testzentrum, die es kräftemäßig vielleicht gerade mal in die Praxis geschafft hätte, je nachdem wie stark ihre Beschwerden sind. Da fühlte ich mich in der Verantwortung und meldete den Arzt bei der zuständigen Stelle. Ich mag sowas nicht. Ich verabscheue Streit, ich will Ruhe und Frieden. Aber ich bin alarmiert durch die Ausgrenzung, die immer die Schwächsten trifft.

 

Und das „Gegenargument“, „Ja, dann lasst euch halt impfen“ schließt all jene aus, die es aus gesundheitlichen Gründen gar nicht können, die Angst haben oder aus sonstigen Gründen den Impfstoff ablehnen.

 

Das geht ja keinen was an. Als ich bei der zuständigen Stelle anrief, um mich zu erkundigen, ob dies Vorgehen denn rechtens sei, sprach ich mit einer sehr netten Dame und schilderte ihr, müde und sachlich, das Gespräch. Wer dann aber aufgeregt war, war die Person am anderen Ende der Leitung. Sie war entsetzt über dieses Vorgehen und gab mir sofort recht. Es sei gegen die Bestimmungen, wie ich erfuhr, dass Ärzte 3G verlangen, damit man zu ihnen in die Praxis kommt. Ich kenne den Arzt nicht wirklich und unterstelle mal gute Absichten, aber dann ist da wieder das Bild der älteren Dame mit Gehhilfe, die dann mit Schmerzen zu Hause bleibt, weil sie weder die Kraft hat, geschweige denn google maps auf dem Handy, um zuvor ins nächste Testzentrum zu finden.

 

Emotional berührt war ich, als die Frau am Telefon mir spontan ihr Herz ausschüttete in ihrer Sorge über die Maßnahmen. Und sie wirkte wirklich nicht wie eine „abgedrehte Verschwörungstheoretikerin“, sondern wie eine Frau, die voll im Leben steht und die aktuelle Meldungen aus dem Gleichgewicht werfen. Die sich mir anvertraute, aber auf der Arbeit Angst hat, zu sagen, was sie denkt. Ich konnte sie beruhigen, dass sie nicht allein ist mit ihrem Gefühl, ihrem Unverständnis der Panik und tatsächlicher Ausgrenzung gegenüber. Ich konnte ihr hoffentlich helfen, indem ich ihr zuhörte und Informationsquellen jenseits des Mainstream empfahl. Das tat ich nicht zum ersten Mal, aber nie tue ich es unaufgefordert, sondern nur, wenn sich mir Menschen ratlos anvertrauen. Ich belehre keinen und habe keine Ideologie, die ich anderen „reindrücken“ muss. Ich habe keine Antworten auf alles, sondern auf die wenigsten Fragen, aber eine breite Information ist nun mal die Grundlage für ein differenziertes Weltbild. Dass bestimmte Experten und Wissenschaftler von der öffentlichen Diskussion ausgegrenzt und als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt werden, das sind wir leider gewöhnt.

 

Die Aktion #allesaufdentisch, in der Künstler in Kurzinterviews Fragen an Experten stellten, die niemals bei ARD oder ZDF in Talkshows auf der Couch sitzen würden, die aber anerkannte Wissenschaftler sind, stieß wieder auf Medienschelte, natürlich, worauf auch sonst.

 

Aber die Künstler erfuhren auch auf sehr viel Dankbarkeit von allen, die sich gerade von den öffentlichen Medien nicht vertreten fühlen. Und das ist unsere Aufgabe, wir alle, die alternative Kanäle bespielen, sei es in den sozialen Medien, Videos, Blogs, VLogs, Foren – aufklären, Mut machen, ermutigen, jenseits des roten Fadens zu denken und die eigene Meinung zu sagen. Und sich dabei nie selbst als Allwissender hinzustellen.

Umso beeindruckender empfand ich, dass die Aktion #IchBinEinMensch, von mir angestoßen, schnell Selbstläufer wurde.

 

Nach meiner Aufforderung auf Twitter, erlebte Nachteile öffentlich zu machen, ausgehend von der Selbstverständlichkeit, dass sich Geimpfte und Ungeimpfte charakterlich durch nichts unterscheiden, schoss der Hashtag binnen Kurzem auf Platz 4 der Trends. Das war Samstag gegen 20.00 Uhr. Kurz darauf war er verschwunden, so unerklärlich wundersam, wie das bei Twitter oft passiert. Ich machte schon den Fernseher an, um abzuschalten und zuckte mit den Schultern. Bis mich eine Nachricht erreichte: „Wir sind wieder in den Trends!“ Diesmal auf Platz 3, dann schnell auf Platz 2 und ab ca. 22 Uhr blieb der Hashtag konstant auf Platz 1 der Trends.

 

Wow. Das war toll! Denn #IchBinEinMensch passte nichts ins Narrativ. Aber vielleicht schliefen die Verantwortlichen schon, die sonst sehr aktiv um Zensur bemüht sind.

 

Es kamen berührende, befreit klingende Antworten, viele waren mutig genug, offen zu schreiben, was ich ihnen sehr hoch anrechne. Muss man sich doch heute als jemand, der eine spezielle Impfung aus welchen Gründen auch immer ablehnt, anhören, man sei „Coronaleugner“, „Impfgegner“ (egal ob man schon 20 andere Impfungen hat), oder Schlimmeres. 

 

Am Tag der Deutschen Einheit zeigte genau dieser Hashtag, dass das Land gespalten ist wie nie. Natürlich kamen viele hasserfüllte Kommentare, die ich andernorts schon deutete. Für mich sind das Menschen, die sich blind auf die Regierung verlassen haben, die sich sogar über Corona definieren und denen ohne ihre tägliche Dosis Panik und die beruhigenden Maßnahmen etwas Wesentliches fehlen würde. Ich schaffe es nicht ganz, mich dort hinein zu fühlen.

 

Was wohl im Leben schiefgelaufen sein muss, dass man kollektive Panik und Hass gegen Unaufgeregte als Beruhigung und Stütze empfindet? Aber so muss es wohl sein. Gegen die giftigen Äußerungen, natürlich viele von bezahlten Trollen und Bots, schrieben meine Follower und weitere Menschen mutig an und erzählten in 280 Zeichen kurz ihre Geschichte. Das beeindruckte mich- denn es war großartig, dass sich Menschen trauten, öffentlich mit ihren Bedenken und Sorgen gelesen zu werden. Denen ich Mut machen konnte, dies zu tun. Am Feiertag benutzten viele beide Hashtags zusammen #TagderDeutschenEinheit, natürlich auf Platz 1 der Trends, aber gleich dahinter auf Platz 2 stand #IchBinEinMensch – und es wurde klar, dass diese Einheit unter den Menschen ein Ideal ist, das schon längst nicht mehr erreicht wird, wenn es das je wurde.

 

Besorgte, empathische Menschen schrieben - panische, hasserfüllte, giftspeiende Hater hetzten dagegen an. „Lasst euch halt impfen und seid solidarisch“ war noch das netteste und intelligenteste, was von dieser Seite gepostet wurde.

 

Bei den Hatern liegt ein Missverständnis vor: Einheit bedeutet nicht Einheitlichkeit. Einheit bedeutet eine wahrhaft pluralistische Gesellschaft, in der alle Meinungen akzeptiert sind. In der jeder individuell genau der Mensch sein darf, der er ist. Und in der bestimmt keine Impfung Auskunft gibt über den Charakter. Wie auch nicht die gegen Malaria, Tetanus oder Windpocken. Viele, die sich impfen ließen, taten dies aus guten Gründen, für sich - ohne andere zu hassen. Wer mit sich und seiner Meinung im reinen ist, muss auch sonst niemanden diffamieren. Und freut sich seines Lebens. Daran hapert es scheinbar bei vielen. 

 

Was der Hashtag offenlegte, ist die erlebte Ausgrenzung, die auch Geimpfte schilderten, wenn es um ungeimpfte Verwandte oder Freunde geht.

 

Ich danke allen, die mir geholfen haben, ein Zeichen zu setzen, gegen Ausgrenzung, Vorurteile und Hass.

 

Hass ist das Extrem von Wut und Wut entspringt aus Angst, genährt von der Unsicherheit, eventuell die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Um eine scheuklappenbehaftete Blase kämpfend, die einen beruhigt und bestärkt - damit die Unsicherheit verschwindet. Jeder, der anders denkt und handelt, wird als Bedrohung empfunden. Ich sehe es als Bedrohung, wenn Menschen systematisch ausgeschlossen werden.

 

Was ich mitnehme aus #IchBinEinMensch, ist der berührende Zuspruch, die Möglichkeit, Menschen Mut zu geben, offen ihre Meinung zu sagen und ganz konkret aufzuzeigen, dass viele, die sich haben impfen lassen, ebenso gegen Zwang und Druck aufstehen, und jeden akzeptieren, der eine andere Entscheidung trifft als sie selbst.

 

Wir haben uns ja früher auch nicht begrüßt mit „Hi, ich bin Annette, ich bin ungeimpft, und du?“ Da gibt es andere Dinge, die mich an Menschen interessieren: So ziemlich alles, außer einer Impfung. Daher danke allen, die die Spaltung aufgezeigt haben und sie überwinden wollen. Auch denen, die sich als intolerant und hasserfüllt outeten. Auch das ist Offenheit und gehört in eine Gesellschaft. Mit wem man persönlich zu tun haben möchte und mit wem nicht, kann man dann frei entscheiden. 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Susanne (Dienstag, 05 Oktober 2021 17:07)

    Liebe Annette , Du sprichst mir aus der Seele..jeden Tag kommt etwas dazu was mich fassungslos macht und alle bisherigen Werte auf den Kopf stellt..und es kostet eine Menge Kraft dem entgegen zu halten, aber die Situation zeigt mir auch , wie wertvoll es ist authentisch zu sein und zu bleiben. Danke für den tollen Artikel-ich freue mich auf mehr.